Das Theater bis zu den Sternen stellt einen der wichtigsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit vor. Mirjam Usbeck (Rezitation und Tanz) und Roland Ruck (Kontrabass) haben sich mit dem Menschen Wolfgang Borchert beschäftigt –und sie leihen seinen freigelassenen Worten ihre Stimmen:
LICHT. Sanft nimmt die Tänzerin und Rezitatorin Mirjam Usbeck in der hintersten Reihe der Bezalel-Synagoge Platz. Auf der Bühne fällt schon fahles Licht auf Roland Ruck, der leise am Kontrabass zupft. Langsam schreitet Usbeck, wie aus dem Nichts kommend, dann durch den Gang und nimmt die Bühne ein. Ein Tisch, ein Stuhl, eine Lampe, zwei drei Tücher – mehr Requisite braucht die Annäherung an den Trümmerliteraten Wolfgang Borchert (1921 bis 1947) mit dem Titel „Freigelassene Worte“ nicht.
Während Ruck gedämpft jazzt, seinen Kontrabass bis auf bloßes Geräusch reduziert, leuchtet Usbeck nicht nur mit dem Kerzenschein der Lampe, sondern mit Worten in die gut gefüllten Zuschauerreihen. Von der letzten Apfelblüte ist da die Rede. Verse erklingen im wahrsten Wortsinn: „Stell’ dich mit mir in den Regen / Glaube an seinen Tropfensegen“. Usbeck tut gut daran, ihre Rezitation nie durch zuviel Bewegung zu durchkreuzen. Ihr Tanz ist wohl kalkuliert, und wenn sie sich wie ein leiser Wirbelwind in die Tücher wickelt, manifestiert sich der Notschrei der verlorenen Kriegsgeneration auf berührende Weise.
Den ersten Teil der „freigelassenen Worte“ bestimmen vor allem die Auszüge aus seinen Kurzgeschichten „Die Hundeblume“ und dem kurz vor Borcherts Tod veröffentlichten Gedichtband „Laterne, Nacht und Sterne“. Langsam rücken Usbeck und Ruck dann immer mehr das Blickfeld auf den Anti-Kriegs-Autoren, der für die braune Soldateska nur Verachtung übrig hatte und doch an der Ostfront selbst unendliche Schrecken erfuhr. Von Männern wie „gespenstische Krähen“ ist zu hören: „Wir schauen aus der Dämmerung in die Dämmerung“. Plötzlich folgt die legendäre pazifistische Mahnung „Dann gibt es nur eins“: „Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag Nein!“
Wenn Ruck schließlich erschrecken authentisch Maschinengewehrfeuer durch Schlagen seines Bogens auf den Bassklangkörper imitiert, erhöht sich die atmosphärische Intensität nochmals. Usbeck klettert auf den Tisch, kauert sich wieder zusammen, blickt erschüttert, ängstlich in den Saal. Das Licht ist dabei grünlich blau gefärbt. Die Sätze des Mädchens an den Kriegsheimkehrer Beckmann in „Draußen vor der Tür“ drängen sich förmlich auf: „Sei still Fisch“, und alles ist aus.
Der lang anhaltende Schlussapplaus wird der formal und emotional außergewöhnlichen Annäherung an einen, vielleicht schon wieder zu sehr ins Abseits gerückten, Autoren wie Borchert da mehr als gerecht. Tanz, Klang, Stimme, Text und Musik – so kann es (zusammen)gehen.
9. Februar 2010
In einem kleinen Lichtkegel der Mann mit dem großen dunklen Kontrabass, eine schlichte und doch aufrüttelnde Melodie zupfend. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts eine zierliche Tänzerin auf und spricht mit klarer, ausdrucksstarker Stimme, die Augen weit geöffnet. Sie rezitiert Wolfgang Borchert. Mirjam Usbeck und Roland Ruck haben ein Programm aus eindrucksvollen Ausschnitten der Gedichte und Kurzgeschichten Borcherts geschaffen.
Mirjam Usbeck setzt die Texte in Bilder und Tanz um, während Roland Ruck sie auf dem Kontrabass begleitet. Gehüllt in ein rotes Samttuch verkörpert sie das Feuer, herumwirbelnd ist sie der Wind in “Versuch es”.
Die Musik hat er selbst geschrieben. Sie hat oft passend zu den Texten einen wehmütigen Charakter, wird aber immer wieder mit jazzigen Elementen angereichert. Zusätzlich entlockt Ruck seinem Baß außergewöhnliche Geräusche. Eindrucksvoll erzeugt er das Geräusch von Wind gepaart mit leisen Möwenschreien, so dass man beinahe meint, man stünde wirklich in dem Hamburg, das Borchert beschreibt.
An anderer Stelle wird das Instrument zum Geschoss. Markerschütternd knallen die Schüsse in “Die Kegelbahn”. (…)
Die Texte entfalteten sofort ihre bewegende und aufrüttelnde Wirkung. So war es dann umso schöner, dass Mirjam Usbeck und Roland Ruck den Abend mit dem “Laternentraum” ausklingen ließen. Ein doch vergleichsweise sanftes Gedicht Borcherts, bei dessen letzten Zeilen sie den Zuschauern doch ein Schmunzeln entlocken konnten. Alles in allem bescherte der Mix aus Literatur, Musik und Tanz dem interessierten Publikum einen gleichsam bewegenden, fesselnden und doch in gewisser Weise melancholisch stimmenden Abend.” (Weilburger Tageblatt, 24.4.07)
… Die Inszenierung geht dabei weit über das hinaus, was man gewöhnlich als Rezitation mit Musik kennt. Die zarte Tänzerin Mirjam Usbeck schafft mit klarer, unpathetischer Sprache, energiegeladenen Bewegungen und einer lebhaften Präsenz intensive Bilder, die durch das einfühlsame Bass-Spiel des Musikers Roland Ruck tiefe Eindrücke hinterlassen. Diese seltene Kombination und das spielerisch anmutende Zusammenwirken des Kontrabassisten und der Künstlerin erzeugen eine Atmosphäre von Leichtigkeit, die auch Stücke, die sich mit der Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit des Krieges befassen, verdaulicher und nahbarer machen.” (Kulturbüro Weilmüster, 5.11.06) Wolfgang Borchert (1921-1947) schrieb mit „Draußen vor der Tür“ (1947) das zentrale Drama der sogenannten deutschen Trümmerliteratur nach dem 2. Weltkrieg. Weniger bekannt, aber eindrucksvoll und berührend, sind seine Kurzgeschichten und Gedichte, in denen sich der Autor in knapp-präziser, emotional-eindringlicher Sprache als Meister der kurzen Form präsentierte.
Wolfgang Borchert fasste seine Lebenserinnerungen in bildreiche Worte und gab in Zeiten der Hoffnungslosigkeit der fassungslosen Welt eine menschliche Stimme.
Schriftsteller und Nachtschwärmer, Genussmensch und Schauspieler wurde Wolfgang Borchert 1921 in Hamburg geboren.
Wegen politischer Bemerkungen war er im Gefängnis und er wurde wie viele andere Häftlinge auch „an die Front begnadigt“. Er war dort Soldat und Panzergrenadier.
Als er aus dem Krieg in eine zerstörte Welt zurückkam, blieben ihm noch 2 Jahre um seine Eindrücke aufzuschreiben. Er ist einer der bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur.
Im Alter von 26 Jahren starb er in einem Krankenhaus in der Nähe von Basel.
DANKE lieber Roland,
dass Du mich von 2006 bis 2010 begleitet hast!